Aktuelle Schlagzeilen zum Stichwort "Wohlstand"

Ich habe heute mal nach „Wohlstand“ gegoogelt (eigentlich habe ich „ecosiat“ aber das schreibt sich etwas sperrig).

Unser Wohlstand ist angeblich akut bedroht, wenn nicht mehr investiert wird. 1. Ein Influencer findet die 40-Stunden-Woche anstrengend: Das bedroht unseren Wohlstand2. Beim Handelsblatt kann ich meinen Wohlstand ausrechnen und vergleichen 3. Gas-Kathi sagt, die Automobilwirtschaft stehe für den Wohlstand Deutschlands 4.

Es lassen sich unzählige weitere Beispiele finden. Der „Wohlstand“ einer Privatperson lässt sich – so scheint es – unmittelbar anhand seines materiellen und finanziellen Besitzes festmachen. Der Wohlstand einer ganzen Nation bemisst sich dementsprechend anhand von Brutto-Inlandsprodukt (BIP)5 und Wirtschaftswachstum. Stadtbild-Fritze denkt „Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können“6

Der Duden definiert Wohlstand als „Maß an Wohlhabenheit, die jemandem wirtschaftliche Sicherheit gibt; hoher Lebensstandard“ 7. Das Gabler Wirtschaftslexikon geht etwas weiter: „Wohlstand ist ein bestimmtes Maß an Wohlhabenheit (materieller Wohlstand, auch Lebensstandard) und Wohlbefinden (immaterieller Wohlstand).“8.

Nicht nur in diesen beiden Definitionen wird Lebensstandard quasi synonym zu materiellem Wohlstand gesetzt. Wenn die Politik davon spricht den „Wohlstand zu erhalten“ oder den „Lebensstandard zu bewahren“ haben sie den materiellen Wohlstand im Blick, wahlweise gemessen am BIP oder am persönlichen Vermögen und Einkommen. Dies spiegelt sich auch ihren Äußerungen wieder. Die SPD fordert dass sich Leistung für die lohnen (mit „guten Löhnen“) müsse, die zum Wohlstand unseres Landes beitragen9. Die CDU hat eine ganzes „Wohlstandsversprechen“10, eine „Agenda für die Fleißigen“. Wohlstand erreicht man unserer Regierungskoalition zufolge also vor allem durch harte Arbeit (was nachweislich falsch ist – reich werden ganz überwiegend diejenigen, die bereits reich sind). Die FDP (gibt’s die eigentlich noch?) bläst an der Stelle natürlich ins gleiche Horn („Leistung muss sich lohnen“, „Wachstum nützt allen“)11. Bündnis90/Die Grünen fassen den Wohlstandsbegriff etwas weiter12 und beziehen auch Umwelt und Soziales mit ein, fokussieren sich letztendlich aber auch auf Wirtschaftswachstum als Quelle für den Wohlstand. Selbst die Linke versteht unter Wohlstand offensichtlich im Wesenlichen den materiellen Wohlstand13 der durch Wirtschaftswachstum gesteigert werden könne – legt aber einen starken Fokus auf den Abbau der ungleichen Verteilung des (materiellen) Wohlstandes in Deutschland14

Der erste Wirtschaftsminister der damals noch jungen Bundesrepublik Deutschland und spätere Kanzler Ludwig Erhard ist vermutlich nicht ganz unschuldig an dieser Gleichsetzung von Wohlstand, Wachstum und BIP in der deutschen Politik. In seinem Buch „Wohlstand für alle“ 15 legt er dar, dass nur Wachstum und Wettbewerb Wohlstand für alle erzeugen: „Es ist sehr viel leichter, jedem einzelnen aus einem immer größer werdenden Kuchen ein größeres Stück zu gewähren (…)“ – später bekannt als „Trickle-Down“-Effekt, der in wenig entwickelten Volkswirtschaften tatsächlich zu einem gewissen Grad nachgewiesen werden kann. Aber genau da liegt die Crux, die Bundesrepublik der Nachkriegszeit hat wenig mit dem heutigen Deutschland gemeinsam und die Welt ist eine Andere. Dinge die bei einem Wirtschaftswunderwirtschaftsminister funktioniert haben und möglicherweise sogar richtig waren, sind nicht unbedingt auf die heutige Situation übertragbar. Wer buchstäblich nichts hat, ist für jede Arbeit dankbar, um zumindest Geld für das Notwendigste zu haben (an dieser Stelle könnte man jetzt eine Kapitalismus-Diskussion führen, das würde jetzt aber zu weit gehen). Doch Ludwig Erhard selbst beobachtet (eher kritisch) eine „sozial sicherlich erwünschte Verkürzung der Arbeitszeit“. Mit anderen Worten: Schon wenn die grundlegendsten materiellen Bedürfnisse erfüllt sind, ist materieller Wohlstand nicht mehr das einzig selig Machende.

Bei Gabler (ausgerechnet im Wirtschaftslexikon!) war es bereits angedeutet: Es gibt auch immateriellen Wohlstand oder „Wohlbefinden“. Geld alleine macht nicht glücklich (Wer hätte es gedacht?). Ein Leben in Wohlstand schließt ausreichende Freizeit, Gesundheit, soziale Bindungen oder Teilhabe ein angenehmes Lebensumfeld und vieles mehr mit ein. Materieller Wohlstand (Mein Auto, mein Haus, meine Jacht) macht es an vielen Stellen einfacher, den immateriellen Wohlstand auszuleben, aber Geld ist nicht der einzige Weg zu (immateriellem) Wohlstand.

Es gibt umfangreiche Forschung zu Lebensqualität und Wohlstand. Die OECD hat beispielsweise das OECD Well-being framework entwickelt, in dem das Einkommen und materieller Wohlstand lediglich eine von 11 Dimensionen ist. Andere Aspekte sind z.B. „Environmental Quality“, „Work-life Balance“ und „Social Connections“16. Der „Human Development Index“ wird von der UN seit 1990 berechnet und besteht gleichgewichtet aus Kennzahlen zu Gesundheit, Bildung und Kaufkraft. Der „Happy Planet Index“17versucht zu messen, wie gut es Ländern gelingt ihren Bewohnern ein langes, glückliches Leben zu ermöglichen (Spolier: „There is much more to wellbeing than money“). Bhutan hat schon seit dem 17. Jahrhundert das „Glück der Bevölkerung“ als Ziel der Politik festgelegt. Vor über 25 Jahren wurde darauf basierend der der „Gross National Happiness Index“, also das BruttoNationalGlück als als alternative zum BIP entwickelt18 das neben materiellem Wohlstand auch psychisches Wohlbefinden und andere Parameter beinhaltet. U.a. Island, Neuseeland und Schottland orientieren sich mittlerweile auch am GNH.

Eigentlich können auch wir anders. Das zeigt sich zum Beispiel im „Bericht zur Lebensqualität in Deutschland“ der Bundesregierung von 201619. Der Bericht beruht auf einem Bürgerdialog, es wurden alsso gewöhnliche Menschen (oder „das Volk“) gefragt, was ihnen wichtig ist. Zu den wichtigsten Forderungen, die im Bürgerdialog zur Sprache kamen, gehören Chancengleichheit, Zusammenhalt, Gleichstellung von Frauen und die Schließung der Schere zwischen Arm und Reich bei Einkommen, Bildung und Gesundheitsversorgung. Der Bericht gruppiert diese und weitere Punkte in 12 Dimensionen, wie „Gesund durchs Leben“, „Natur erhalten, Umwelt schützen“, „Zusammenhalten in Familie und Gesellschaft“, und auch „Sicheres Einkommen“ oder „Wirtschaft stärken, in Zukunft investieren“. Zu jeder der 12 Dimensionen gibt es mehrere Indikatoren die das jeweilige Feld messbar machen (z.B. die Lebenserwartung im Bereich Gesundheit, das Haushaltsnettoeinkommen oder (Schreikrampf!) das BIP/Kopf20. Insgesamt aber eine durchaus bürgernahe, realistische und breit gefasst Definition von „Wohlstand“. Der Bericht betont, dass keine Gewichtung der Dimensionen vorgenommen wird, in der Zusammenfassung des Bundeswirtshaftsministeriums21 wird daraus dann aber unmittelbar ein Playdoyer für Wirtschaftswachstum „Im Bürgerdialog wurde von vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern betont, wie wichtig eine dynamische Wirtschaft als Basis für eine hohe Lebensqualität ist.“. Ich versuche mir das gerade bildlich vorzustellen:

Berta Bürgerin: „Ich fände es wichtig, mehr Chancengleichheit in Schule und Beruf herzustellen, unabhängig von Herkunft, Geschlecht u.ä.“

Regierung: „Und wie könnten wir das erreichen?“

Berta Bürgerin: „Wir brauchen gute Wettbewerbsbedingungen, ein innovationsfreundliches Klima und Investitionen in die Wirtschaft“

Bissl schräg, oder? Stolz werden dann Indikatoren wie „Entwicklung der Bruttoanlageninvestitionen in Prozent des BIP“ oder „Entwicklung der Kosten von Unternehmensgründungen in Euro“ dargestellt. WTF? Werden jedem deutschen Politiker (und mancher Politikerin) beim Betreten des Bundestages gewisse Hirnregionen gelöscht und mit 100.000mal „BIP“ überschrieben?

Unbestritten ist eine solide Wirtschaft in unserem derzeitigem Wirtschaftssystem eine Voraussetzung für Wohlstand. Sie ist aber Mittel zum Zweck. Das Gleichsetzen von Wohlstand mit Wirtschaftswachstum verkennt die wahren Lebensumstände. Wirtschaftswachstum macht uns nicht glücklich. Glücklich macht uns, was mit dem erwirtschaftetem Geld umgesetzt wird, wie es verteilt wird, wie sich unsere Lebensumstände verbessern und wie sich unsere Lebensqualität erhöht.

In der Verfassung von Bhutan aus dem 17. Jahrhundert steht: „If the government cannot create happiness for its people, then there is no purpose for government to exist”22.

Wenn die Politik – unsere aktuelle Regierungskoalition – das versteht, glaubhaft vermittelt und dementsprechend handelt und nicht nur ein weiteres „Wirtschaftswachstumdförderungsgesetz“ zum Wohle fossiler Industrien verabschiedet, haben wir eine Chance auf eine freiheitliche, demokratische Zukunft und Wohlstand – im materiellen und immateriellem Sinne – in Deutschland.

  1. https://www.wiwo.de/politik/deutschland/standort-deutschland-ifo-chef-warnt-wohlstand-in-deutschland-akut-bedroht/100168202.html)
  2. https://www.rtl.de/geld/job/gen-z-influencer-julian-kamps-will-weniger-arbeiten-dhdl-star-frank-thelen-ist-fassungslos-id6842990.html
  3. https://www.handelsblatt.com/finanzen/anlagestrategie/vermoegen-dieser-rechner-zeigt-ihren-wohlstand-im-vergleich/100149729.html
  4. https://www.bundeswirtschaftsministerium.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2025/10/20251010-zitat-bundeswirtschaftsministerin-katherina-reiche-automobilgipfel.html
  5. Warum das BIP ein selten blöder Indikator ist schreibe ich demnächst mal auf
  6. https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/bundeskanzler-lehnt-vier-tage-woche-ab-work-life-balance-ist-langst-ein-standortfaktor-13691380.html
  7. https://www.duden.de/rechtschreibung/Wohlstand
  8. https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/wohlstand-123834
  9. https://afa.spd.de/mitteilungen/mitteilungen/news/fuer-gute-arbeit-in-einem-starken-land-gegen-rentenkuerzungen-und-sozialabbau/26/04/2024
  10. https://www.cdu.de/themen/wohlstand/
  11. https://www.fdp.de/seite/fuer-eine-starke-wirtschaft-und-sicheren-wohlstand
  12. https://www.gruene-bundestag.de/unsere-politik/fachtexte/wohlstand-in-einer-klimaneutralen-wirtschaft/
  13. https://www.die-linke.de/start/presse/detail/news/in-die-zukunft-investieren-statt-profite-subventionieren/
  14. https://www.die-linke.de/themen/steuern/vermoegensteuer/
  15. https://web.archive.org/web/20110822113139/http://www.ludwig-erhard-stiftung.de/files/wohlstand_fuer_alle.pdf
  16. https://www.oecd.org/content/dam/oecd/en/publications/reports/2024/03/measuring-subjective-well-being-across-oecd-countries_2f034e38/f5199579-en.pdf
  17. https://happyplanetindex.org/learn-about-the-happy-planet-index/
  18. https://bhutanstudies.org.bt/
  19. https://www.gut-leben-in-deutschland.de/downloads/Regierungsbericht-zur-Lebensqualitaet-in-Deutschland.pdf
  20. BIP=doof, BIP/Kopf = doof zum Quadrat
  21. https://www.bundeswirtschaftsministerium.de/Redaktion/DE/Artikel/Wirtschaft/lebensqualitaet-in-deutschland.html
  22. https://www.gnhcentrebhutan.org/history-of-gnh/
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